ECOS 2018: SD-KONFERENZ

European Conference of Speech-to-Text-Reporters in Stockholm

Die alle zwei Jahre stattfindende ECOS wurde dieses Jahr von 17.–19. August in Stockholm abgehalten. 

Gamla stan, die Altstadt von Stockholm

Ein wichtiger Aspekt – abgesehen von den Präsentationen – bei der Konferenz war abermals der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus acht weiteren europäischen Ländern zu unterschiedlichen Themen. Erörtert wurden in den Pausen und schließlich auch coram publico brennende Fragen: In welchen Ländern gibt es Rezertifizierungen? Was ist im jeweiligen Land nachzuweisen, um den Titel „zertifizierter Schriftdolmetscher“ beibehalten zu dürfen? Oder etwa: Wie viel ZpM müssen für die Zertifizierung in den jeweiligen Ländern erreicht werden? 

In den Vorträgen wurden interessante Einblicke in die aktuelle Forschung gewährt und Zukunftsvisionen, den Beruf des Schriftdolmetschers betreffend, diskutiert. 

Aktuelle Forschung

Eine der einleitenden Fragen von Ulf Norberg, Schweden, lautete: Welche ist die korrekte Berufsbezeichnung? Für die deutsche Sprache war schnell klar, dass dies Schriftdolmetscher ist. In anderen Sprachen, wie zum Beispiel Holländisch (Schrijftolken), ist ebenfalls das Wort Dolmetsch Bestandteil der Berufsbezeichnung. Transcription en simultane, die französische Variante, wurde in der Debatte etwas vernachlässigt, denn nur ein Vertreter französischsprachiger Länder war bei der Konferenz vertreten. 

Die englische Bezeichnung allerdings entfachte eine intensive Diskussion, denn eine ganze Reihe von Begriffen steht zur Verfügung: Speech-to-Text-Interpreter (STTI), Speech-to-Text-Reporter (STTR), Text Interpreting, Written Interpreting und Real Time Captioning. 

Aus Sicht der Forschung gilt: Der Beruf ist eine Art von „Interpreting“. Sämtliche Skills des Konferenzdolmetschens sind Voraussetzung, um gute Arbeit zu leisten. Entsprechend sollte dies in der Betitelung des Dienstleisters widergespiegelt werden. 

Was aber macht den Unterschied zwischen STTR und STTI aus, also einem Reporter/Protokollanten und einem Dolmetscher/Übersetzer? 

Für Österreich konnte ich dies – als einzige Vertreterin meines Heimatlandes – folgendermaßen interpretieren: Als STTR arbeiten wir, wenn die Erstellung einer umfassenden, möglichst wortwörtlichen Mitschrift vom Auftraggeber verlangt wird. Als STTI allerdings arbeiten wir hauptsächlich bei Veranstaltungen, bei denen der Text einem großen Publikum zur Verfügung gestellt wird. Hier wird, abgesehen von der Stimmigkeit des Inhaltes, darauf geachtet, dass der Text gut zu lesen ist. Wiederholt beispielsweise ein Redner einen Satz oder einen Satzteil mehrfach, wird dies nur einmal erfasst und in weiterer Folge ein Hinweis darauf angemerkt, dass er sich wiederholt. Zwischenlautliche Äußerungen werden weitgehend ausgespart. 

Nicht überraschend war, dass Kolleginnen und Kollegen aus Schweden, Norwegen, Finnland, Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Holland und der Tschechei nach mehr oder weniger denselben oben erwähnten Richtlinien entscheiden, wie sie für ihr Klientel dolmetschen.

In der Forschung geht man derzeit noch einen Schritt weiter und untersucht, welche Texte gut zu lesen sind. Hierbei stellte sich unter anderem die Frage, wonach ein Schriftdolmetscher entscheidet, ob und wann er Absätze und Interpunktion anbringt, wann er einen Satz mit einem Punkt beendet. Dies hängt maßgeblich mit der Sprachmelodie zusammen. Daraus erwächst sogleich die nächste Forschungsfrage: Wie lang darf ein Satz sein, damit er gut lesbar ist? Geklärt ist diese Frage nicht. Interessant und nachvollziehbar war die vage in den Raum gestellte Behauptung, dass ein Satz mit maximal vier Beistrichen die Grenze bildet, um eine optimale Lesbarkeit gewähren zu können. 

Besuch beim Järnpojke, dem „kleinen Jungen, der auf den Mond sieht“. Streicht man ihm drei Mal über den Kopf, geht ein Wunsch in Erfüllung.

Automatische Textverarbeitung

Auf diesem Sektor wird seit Jahrzehnten geforscht und entwickelt. In vielen Ländern wird Respeaken (Spracherkennung) angeboten, wir bieten dies in Österreich seit 2018 an. So neu ist das Thema also nicht. Was neu ist: Gesprochenes wird automatisch, von egal welchem Sprecher und in bis zu 45 unterschiedlichen Sprachen zu geschriebenem Text generiert. Faszinierende Projekte wurden vorgestellt, darunter ein Best-Practice-Beispiel eines Gehörlosen, dessen Wunsch es war, der Messe seiner Heimatgemeinde beizuwohnen. Hier nahm die von Richard Katarsky vorgestellte Technik seinen Ausgang. 

Während der Pfarrer von der Kanzel predigt, liest die gehörlose Person auf ihrem Tablet den rein durch Computer erstellten Text mit und kann damit der Messe folgen. Schließlich konnten sich die Teilnehmer der ECOS persönlich von der Qualität überzeugen. Das Ergebnis war kontrovers: Einerseits überzeugte das Programm, das sich selbst korrigiert, mit zeilenweise fast perfekter Mitschrift, die in erschreckender Weise unseren Beruf in Frage stellte. Andererseits jedoch sorgte der Text für größte Heiterkeit ob der völlig unsinnigen Verschriftlichung und warf gleichzeitig das mulmige Gefühl auf, ob eine darauf angewiesene Person damit eher verwirrt als akustisch barrierefrei versorgt sei. Die Qualität der computergenerierten Livemitschrift könnte man vergleichen mit einer automatisch erstellten interlingualen Übersetzung, die einen oftmals ratlos zurücklässt. 

Allgemeiner Fazit: Für die nächsten ein bis zwei oder gar mehr Jahrzehnte wird „Handarbeit“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der unumstrittene Vorzug zu geben sein. 

Remote Interpreting 

Zu dem nach wie vor brennenden, aber nicht mehr ganz heißen Thema Online-Schriftdolmetschen wurde ein Ländervergleich der verwendeten Methoden angestellt. Sehr unterschiedliche Strategien werden angewandt. In Norwegen darf eine Online-Schriftdolmetschung nur 30 Minuten lang in Anspruch genommen werden, denn was darüber hinausgeht, kann man auch präsent begleiten. Die Dolmetschqualität vor Ort ist besser, daher machen sich die Berufskolleginnen und -kollegen für Settings ab 31 Minuten auf den möglicherweise langen Weg.

Seit 2016 bieten wir Online-Settings an. Damit und mit der von uns benutzten Methode schwingen wir in einem guten europäischen Mittelfeld mit. 

Von den Anfängen des Schriftdolmetschens bis heute

Neun Länder nehmen an der Ecos teil

Eine äußerst dynamische Kollegin aus Schweden stellte die Geschichte des Schriftdolmetschens ihres Landes vor. Währenddessen wurden die Teilnehmer/-innen der anderen acht Nationalitäten dazu motiviert, einen Fragebogen zu dem Thema auszufüllen, um anschließend einen Vergleich anstellen zu können. 

Die Unterstützung von Menschen mit Hörbeeinträchtigung in Schweden mittels Aufzeichnungen durch Hörende nahm ihren Anfang im Jahr 1977. Von handschriftlichen Mitschriften ging man über zu Overheadprojektoren, zu einem „speziellen“ Computer, zu Lippenlesen, zu Zeichenalphabet und zum „Mund-Hand-System“, das eine besondere Herausforderung für Dienstleister und Konsument darstellte. 

Die heutige Ausbildung dauert ein Jahr und schließt mit einer Prüfung ab, in der 500 ZpM erzielt werden müssen. 130 Schriftdolmetscher arbeiten im Land. Sämtlicher Bedarf wird staatlich gefördert, das heißt, zur Gänze bezahlt. Auch zusätzliches Equipment, wie etwa notwendige Mikrophone, werden vom Staat beglichen. Ein Nachweis über die Schwerhörigkeit oder den Bedarf ist nicht vorzulegen.

Ländervergleich 

Die Vertreter von Norwegen gaben in ihrem Fragebogen an, dass Unterstützung für Menschen mit Hörbeeinträchtigung seit 1917 in Form von Paper/Pencil (handschriftliche Aufzeichnungen) praktiziert wird. Ist Norwegen hier Spitzenreiter, so bildet es das Schlusslicht bei den geforderten Zeichen/Minute mit 300. Wie in allen skandinavischen Ländern wird der Bedarf vom Staat finanziert – hinterfragt wird nicht. 

Die treibende Kraft in der Entwicklung scheinen die Niederlande zu sein. Alle Schriftdolmetscher arbeiten hier mit einer speziellen Tastatur, der Velotype. Der Output ist hoch, die Erstzertifizierung liegt bei 500 ZpM. Die Ausbildung dauert zwei Jahre, die Zertifizierung kann nur durch einen Nachweis über Fortbildungen aufrechterhalten bzw. verlängert werden. Ein System übrigens, das auch in Deutschland und anderen Ländern zur Anwendung kommt. 

Herauskristallisiert hat sich, dass erwartungsgemäß die skandinavischen Länder ein Paradies für soziale Unterstützung und Förderungen sind. Voraussetzungen müssen von Klientenseite nicht nachgewiesen werden. Was benötigt wird, wird bezahlt. 

Für Frankreich hingegen wurde in einem langen Vortrag die Situation sehr traurig dargelegt. Die Dienstleistung existiert seit den 1970ern. Ausbildung gibt es keine, Förderungen auch nicht. 

Ein Ersatzkonzept, über das nicht eindeutig klar wurde, ob es erfolgreich ist, kommt dort zur Umsetzung: Menschen mit Hörbeeinträchtigung bezahlen nichts für Schriftdolmetschung. Im Gegensatz dazu kostet es Firmen außerordentlich hohe Beträge, um Barrierefreiheit gewährleisten zu können; mit diesen Geldern wird der Bedarf für Schwerhörige gedeckt. 

Die Schweiz, die Tschechei und auch Österreich kämpfen nach wie vor um einen Bekanntheitsgrad der Dienstleistung mit allen damit einhergehenden Vor- und Nachteilen. 

AI – Artificial Intelligence 

Einen definitiven Höhepunkt stellte die Präsentation von Peter Siljerud über künstliche Intelligenz dar. In frappierenden Beispielen eröffnete er den Konferenzteilnehmenden die Realität der Industrie 4.0. Wird der Mensch bald vollständig durch Computer und Roboter ersetzt? 

In der Welt von Peter Siljerud ein erstrebenswertes Szenario. Behutsam wurden wir in die Welt der AI eingeführt, bis wir plötzlich mit Layers und Programmierungen, Lernfähigkeit von Computern konfrontiert wurden. Entführt in eine SciFi-Welt, die eines Tages Realität sein wird, wurde die Konferenz keineswegs mit einem schalen Gefühl der Ersetzbarkeit beendet. Ganz im Gegenteil! Aus meinen Aufzeichnungen möchte ich drei Zitate aus dem AI-Vortrag erwähnen: 

„Wenn Du für einen Service nicht bezahlst, bist Du das Produkt.“ „Es gibt immer kostenlosen Käse in der Mausefalle.“ „Die Garnele, die im Fluss einschläft, wird in einer Suppenschale aufwachen.“ 

Die Welt befindet sich also im Umbruch. Auch im Bereich des Schriftdolmetschens. Die Augen vor dem Fortschritt und der Entwicklung sollten wir keinesfalls verschließen, sondern erfolgversprechende Technologien in unseren Beruf mit einfließen lassen. Es gibt Bereiche im Leben der Menschen, die nicht durch Computer und Roboter ersetzt werden können. Eine Hilfestellung sollen und können wir nicht abweisen oder gar verweigern. Es liegt an uns, die Entwicklung zu unserem Vorteil und zu dem unserer Klientel zu nutzen.  

Anflug auf Stockholm, das „Venedig des Nordens“

ECOS 2020

Die abschließende Frage, wo die nächste ECOS im Jahr 2020 stattfinden wird, blieb offen, abermals wurde jedoch über ein skandinavisches Land spekuliert. 

Mein Wunsch und meine Zukunftsvision ist, die ECOS eines Tages in Österreich zu organisieren. In manchen Bereichen, so hat sich gezeigt, haben wir sogar eine Vorreiterrolle. Das Interesse, mehr über die in Österreich verpflichtende Rezertifizierung alle eineinhalb Jahre zu erfahren, war groß. Denn auch andere Länder haben erkannt, dass ein regelmäßiger Nachweis der Qualität von enormer Wichtigkeit ist. 

Fotos: © Gudrun Amtmann, Stockholm