INTERVIEW MIT EINER SCHRIFTDOLMETSCH-USERIN

„Die Schwerhörigkeit ist eine Beeinträchtigung, eine Behinderung, die unsichtbar ist. Sie ist aber trotzdem da. Man muss sie fühlen, man sieht sie nicht. Man muss viel Arbeit leisten, dass man es wahrnehmbar und sichtbar macht.“

Nicole Sischka, 28 Jahre alt, kommt aus Waidhofen an der Thaya. Nach ihrer Schulbildung überlegte sie ein Studium, entschied sich jedoch, im Familienbetrieb einzusteigen, eine Bäckerei mit angeschlossenem Kaffeehaus. Ihre Hochtonschwerhörigkeit wurde erst im Alter von vier Jahren entdeckt, seit ihrem sechsten Lebensjahr ist sie mit Hörgeräten versorgt. 

Nicole engagiert sich ehrenamtlich für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen. Sie ist begeistert von der Kommunikationsdienstleistung Schriftdolmetschen und erzählt darüber im Interview mit Gudrun Amtmann.

Gudrun Amtmann: Du warst letztens bei einem Symposium in Salzburg. Die Veranstaltung wurde durchgängig mit Schriftdolmetschung angeboten. Wie sind Deine Erfahrungen mit Schriftdolmetschen? 

Nicole Sischka: Es war super, dass es Schriftdolmetschen gab und nicht nur Gebärdensprachdolmetschung. Es wurde damit auch auf schlecht hörende Personen Rücksicht genommen, die die Gebärdensprache nicht können. Für mich war das Zuhören nicht so anstrengend und ich musste mich nicht so auf das Hören konzentrieren und nicht die ganze Zeit mithören und mitdenken. Bei den Vorträgen und Gesprächen war das sehr entspannend und hilfreich. Das Ermüden wurde ein bisschen ausgeglichen. 

Beiträge, denen ich aus unterschiedlichen Gründen akustisch nicht gut folgen konnte, habe ich einfach mitgelesen. Das war gut, vor allem, wenn der Redefluss oder die Betonung nicht optimal war. 

Es war wirklich nicht so, wie es normalerweise bei Untertiteln in „Leichter Sprache“ ist, sondern es war tatsächlich 1:1 übersetzt. Das fand ich gut – und das in Echtzeit! Ich muss sagen: Hut ab. Ich habe mit einigen Teilnehmer:innen darüber gesprochen, die sich gewundert haben, wie man das schaffen kann, den gesprochenen Text in Echtzeit in Schriftsprache zu übersetzen. 

Gudrun Amtmann: Es ist also auch die Sprachfärbung zum optimalen Verstehen wichtig für dich?

Nicole Sischka: Ja, und es ist auch ein Unterschied, ob Frauen oder Männer reden. Männer haben tiefere Stimmen, Frauen höhere. 

Gudrun Amtmann: Sind dir bei dieser oder anderen Schriftdolmetscheinsätzen, die Du erlebt hast, Fehler aufgefallen?

Nicole Sischka: Njein. Ich habe bei dem Symposium so lachen müssen, es waren ein paar Kleinschreibfehler. Ich dachte, oh mein Gott, sie bessert die noch aus! Es passt ja eh schon. Ich weiß ja, dass es groß geschrieben gehört. Es war  wirklich in Sekundenschnelle. Das haben auch andere kommuniziert, dass es Wahnsinn ist, dass kleine Schreibfehler ausgebessert werden. Es ging durch das Ausbessern kein Text oder Inhalt verloren. Sinnfehler und Auslassungen konnte ich auch keine entdecken. Schwierig war die Arbeit sicher, die ganzen medizinischen Fremdwörter zu verschriftlichen. Das Thema war schwierig und sicher auch für einen HNO-Kongress geeignet. Für mich war es etwas zu spezifisch. 

Die Technik war manchmal ein Hund. Vom Mikro her hat es gehallt. Aber man hat es super lesen können und die Schrift war angenehm groß. 

Gudrun Amtmann: Wie bist du eigentlich auf Schriftdolmetschen gekommen? 

Nicole Sischka: Beim „Verein Hörenswert“ habe ich einmal ein Prospekt gesehen und Helga Hilger von diesem Verein hat einmal darüber etwas erzählt. Dann schrieb ich dich, Gudrun, an und wir trafen uns und es wurde ein laufender Kontakt. 

Gudrun Amtmann: Du erwähnst, seit wir uns kennen, immer wieder Untertitel. Wie ist das für dich im Gegensatz zu Schriftdolmetschen? 

Nicole Sischka: Die Untertitel sind bei Sendungen und Filmen unter anderem auf ORF in „einfacher Sprache“. Mir fehlen mit den Hörgeräten oft nur ein bis zwei Wörter, um dem genauen Inhalt akustisch folgen zu können, besonders dann, wenn Sprecher:innen zum Beispiel undeutlich sprechen. In „Leichter Sprache“ ist es für mich zu einfach geschrieben, denn mein Wortschatz ist wie bei Normalhörenden vorhanden, mit „Leichter Sprache“ ist mein Bedürfnis nicht befriedigt. 

Gudrun Amtmann: Wie war es für dich in der Schule? Konntest du dem Unterricht gut folgen? 

Nicole Sischka: Nein, weil die Hörgeräte haben erst einmal nicht geholfen. Vor 20 Jahren konnte man die Hörgeräte nur ein- und ausschalten, die haben gepfiffen und gerauscht, es gab Rückkopplungen, Bluetooth gab es noch nicht und auch keine Akkus. Alle paar Wochen musste ich zum Akustiker zum Ausblasen gehen. Ich habe später ein besseres Hörgerät bekommen. Sie wollten es so einstellen, dass ich zum Beispiel Vögel gut hören kann. Das war aber nur ein Versprechen. Mit 18 Jahren habe ich ein erstes Hörgerät bekommen, das die Hochtöne gut übertragen konnte. Zunächst war ich überfordert: Ich habe plötzlich die Vögel gehört und in der U-Bahn war es plötzlich so laut! 

Gudrun Amtmann: Welche Unterstützung hast du bekommen? Zum Beispiel in der Schule? 

Nicole Sischka: Das Wichtigste war der Rückhalt durch meine Eltern, die standen mit der Familie immer hinter mir. Und meine Volksschullehrerin hat mir die Hörgeräte nach dem Turnunterricht immer reingetan, weil ich das damals noch nicht selbst konnte. In der Hauptschule hatte ich wenig Unterstützung. Die einzige Person, die viel Verständnis hatte, war der Hauptschuldirektor, er hatte nämlich einen schwerhörigen Sohn. Wenn es Vorfälle gab, konnte ich zu ihm gehen. Die Lehrer:innen und die Mitschüler:innen hatten kein Verständnis. Ich hatte Glück, weil meine Leistungen waren im Großen und Ganzen in Ordnung. Später in der Schule in Wien haben die Leistungen dann voll gepasst. Warum? Weil ich bekam die Unterstützung, die ich in Waidhofen nicht bekam. 

Gudrun Amtmann: Welche Unterstützung war das? 

Nicole Sischka: Sie haben mehr Dinge auf die Tafel geschrieben und ich hatte eine Stützlehrerin. Drei Stunden pro Woche wurde sie mir zugeteilt und zwar für Deutsch und Englisch. Hätte ich es mir aussuchen dürfen, hätte ich fix alle Stunden in Englisch genommen, insbesondere, wenn es damals schon Schriftdolmetschung gegeben hätte. In Englisch habe ich mich geplagt. Meine Lehrerin hat mir jedoch geholfen. Es war aber sehr schwierig, auch mit dem Hören, weil es war so viel Lärm in der Klasse. Es wäre mir sogar egal gewesen, wenn Schriftdolmetschen etwas gekostet hätte, hätte es das schon gegeben, denn ich ging regelmäßig erschöpft aus dem Unterricht. Die Stützlehrerin hat in einem kleinen Heft Stichwörter für mich mitgeschrieben. Mir wurde nahegelegt, dass ich Gebärdensprache lernen solle. Die Stützlehrerin hat mit mir sogar in Gebärdensprache kommuniziert. Genau in der Zeit habe ich neue Hörgeräte bekommen. Also sagte ich ihr, ich kann nicht alles gleichzeitig tun und ich will auch nicht Gebärdensprache lernen, da ich lautsprachlich orientiert bin. Meine Logopädin hat sich für mich stark gemacht. Sie sagte, man könne mich zu nichts zwingen, das ich nicht möchte, auch nicht dazu, Gebärdensprache zu lernen.

Gudrun Amtmann: Du hast schon mehrmals Schriftdolmetsch erlebt. Du erwähnst oft, dass Du gerne Schriftdolmetschunterstützung in der Schule gehabt hättest. Wenn du diese Kommunikationshilfe bekommen hättest, was denkst Du, wäre anders gewesen? 

Nicole Sischka: Ich hätte mich im Unterricht nicht so anstrengen müssen. Ich hätte sicher weniger Diskussionen mit Lehrer:innen und Bildungsberater:innen führen müssen, zum Beispiel wegen fehlender Untertitel in vorgeführten Filmen. Oder weil sie nichts an die Tafel schrieben. Es wäre weniger ermüdend gewesen. Ich hätte außerdem sicher mehrere Schwerhörige dazu gebracht, dass sie Schriftdolmetschen in Anspruch nehmen. Das Problem ist, dass das Schriftdolmetschen noch nicht so bekannt ist. 

Gudrun Amtmann: Würdest du es gerne bekannter machen?

Nicole Sischka: Sicher. Aber es gibt ja ein bisschen einen Widerstand. Unterschiedlichen Institutionen habe ich angeboten, Vorträge über das Schriftdolmetschen zu halten. Es wurde mir gesagt, dass Schriftdolmetschen nicht benötigt wird, da es keine Schwerhörigen an den Schulen gibt. Außerdem würden die zeitlichen Ressourcen für die Beratungen und Einschulungen des Lehrpersonals fehlen. 

Gudrun Amtmann: Du engagierst dich ehrenamtlich, und setzt dich für Menschen mit Höreinschränkungen ein, unter anderem dafür, dass sie Schriftdolmetschunterstütuzung bekommen. Was sind deine Beweggründe? 

Nicole Sischka: Ich bin ehrenamtlich dabei, denn ich habe schon so viel erlebt. Ich finde es ist eine Grundaufgabe, dass man seine eigenen Erfahrungen weitergeben soll. Man kann auch über schlechte Erfahrungen reden. Vieles muss noch verbessert werden. Ob es beispielsweise die Schwerhörigen-Rehabilitation ist oder das Schwerhörigenbild in den Medien. 

Die Schwerhörigkeit ist eine Beeinträchtigung, eine Behinderung, die unsichtbar ist. Sie ist aber trotzdem da. Man muss sie fühlen, man sieht sie nicht. Man muss viel Arbeit leisten, dass man es wahrnehmbar und sichtbar macht. 

Gudrun Amtmann: In welchen Bereichen findest du Schriftdolmetschen unverzichtbar? 

Nicole Sischka: Bei Vorträgen, wo man sich nicht aussuchen kann, wo man sitzt, ob vorne, hinten oder in der Mitte. Für Aus- und Weiterbildungen würde ich es benötigen und natürlich für Team-Besprechungen in der Arbeit. Das wäre super, dann müsste ich nicht nachfragen, wenn gemurmelt wird. Bei Gerichtsverhandlungen würde ich es auch haben wollen, auch wenn ich Gottseidank noch keine Verhandlung hatte. 

Gudrun Amtmann: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch und das Teilen deiner Erfahrungen bezüglich Schwerhörigkeit und Schriftdolmetschen. Viel Erfolg weiterhin bei deinen ehrenamtlichen und sonstigen Tätigkeiten! 

Hinweis: Dieses Interview ist auch in der Ausgabe 4/2022 des „Sprach-R-Ohr, Die österreichische Schwerhörigenzeitschrift“ erschienen. Herausgeber: ÖSB, Österreichischer Schwerhörigenbund DACHVERBAND