MUSIK VERSCHRIFTLICHEN

Konzert (c) Pixabay: Detailausschnitt, Sänger mit Mikrofon und Hut, im Hintergrund ein Musiker mit Kopfhörer

Musik! Stimmung, Atmosphäre, Gefühl, Freude, Trauer. Mit Musik wird Stimmung ausgedrückt, gefühlt, verstärkt, erzeugt. Was tun, wenn Musik von Schriftdolmetscher:innen an deren User:innen, Menschen mit Höreinschränkung, transportiert werden soll? Oder wenn überraschend ein Setting zu großen Teilen aus Musikbeiträgen besteht? Eine Rückschau aus der Praxis.

Die Konferenz beginnt

Das Publikum wird begrüßt, einleitende Worte werden gesprochen. Dankesworte und Vorstellungen folgen. Eine eindrucksvolle Tanzvorführung nimmt ihren Lauf. Schön, wir Schriftdolmetscher:innen ruhen uns aus – oder etwa nicht?

Je nachdem wie weit das Musikverständnis von Schriftdolmetscher:innen reicht, geben sie mehr oder weniger der gehörten Töne, Lieder, Melodien oder Texte wieder. Ein leerer Screen ist für Schriftdolmetscher:innen eine Möglichkeit – eine Möglichkeit, die sie nicht besonders mögen. In dieser Zeit können sie allerdings neue Shortforms anlegen oder einfach die Show genießen.

Und die Show, die hat begonnen. Wir Schriftdolmetscher:innen mögen den schriftlosen Bildschirm nicht und so werden Informationen von uns übermittelt: In Klammern führen wir an, dass zum Beispiel traurige Musik gespielt wird (traurige Musik). Oder ein klassisches Klavierstück (Klassik, Klavier). Oder Rock (Rock, fröhliches Gitarren-Riff).

Doch halt! Was für ein mega cooler Song! Den haben wir schon oft gehört! Bloß: Welcher Song ist das?

Eine Musikerkennungs-App hilft

Auch im Alltag zermartern wir uns im Zeitalter der Digitalisierung das Hirn nicht mehr unnötig, um draufzukommen, welches Lied wir gerade hören. Die Beine beginnen zur Musik zu wippen, der Drang zum Tanzen wird übermächtig, in diesem Fall jedoch unterdrückt. Das ist nicht unsere Show!

Wir zücken das Smartphone und fragen unsere Musikerkennungs-App, die das Lied in diesem Fall ganz sicher kennt. Nur wenige Sekunden später erscheinen Titel und Interpret auf dem Display. Es sind die „Red Hot Chilli Peppers“ mit dem Song „Can’t stop“. Yeah! Die RHCP! Große Freude. Noch mehr Wippen. Diese Information will geteilt werden. Also wird in der Schriftdolmetschung „Rock, fröhliches Gitarren-Riff“ mit „Red Hot Chilli Peppers“ und „Can’t stop“ ergänzt.

Das nächste Lied und die nächste Tanzshow beginnen. Oh, auch das sind vertraute Klänge. Who is? „Paul Kalkbrenner“ mit „Sky and Sand“. Nach den vielen Lockdowns der letzten zwei Jahre flimmert kurz die Erinnerung an einstige Festivals und Konzerte auf. Fein! Danke für die großartige Musikauswahl! Und schon tippen die zehn Finger blind die entsprechende Information für das Publikum.

Auch die Pause gehört zur Musik

schrieb Stefan Zweig (Schriftsteller, 1881 in Wien geboren) in seiner Novelle „Verwirrung der Gefühle“ im Jahr 1926.

Pausen gehören auch zu Konferenzen. Diese Pausen nutzen Teilnehmer:innen, um zu uns Schriftdolmetscher:innen zu kommen und ein paar Worte mit uns zu wechseln. Heute drehen sich die Pausengespräche um die Musik. Das ist neu.

„Woher wisst ihr, wer die Interpreten sind?“ „Wie ist der Titel des Songs?“ Und: „Wer war das nochmal?“

Bereitwillig erteilen wir Auskunft und geben den Namen der von uns benutzten App preis. Eine der Gebärdensprachdolmetscherinnen ersucht uns, ihr die Playlist des Tages später per E-Mail zu senden. Wird gemacht!

Für uns ist spannend, dass die Interessierten in allen Altersklassen zu finden sind. Den jüngeren Teilnehnmer:innen nennen wir den Namen der App. Den Älteren schreiben wir sie auf Wunsch auf und helfen sogar bei der Installation derselben. Ein neuer Aspekt und ein überraschender, unerwarteter Erfolg in unserem Metier!

Beatboxing

Ein regionaler Künstler, geboren in der Mongolei, rollt mit seinem Rollstuhl auf die Bühne. Er ist sehr lässig! Es ist Billy Enkhtur a.k.a Billyshes. Seine Show startet er langsam. Mit Zunge, Lippen und Atem produziert er einen rhythmischen Sound, der via Mikrofon den ganzen Saal erfüllt. Wir Schriftdolmetscher:innen schreiben eine Zusammenfassung des Gehörten für unsere hörbeeinträchtigte Klientel und das gesamte Auditorium. Wie wir seit der Pause wissen, lesen diesmal offenbar wirklich alle Teilnehmer:innen unsere Schriftdolmetschung. Es ist gar nicht so leicht, das Beatboxing in Worte zu fassen.

Der Künstler holt einen Musikerkollegen auf die Bühne. Zusammen rocken sie den Konferenzsaal.

Die Passagen im Sprechgesang, wie es beim Beatboxen üblich ist, schreiben wir mit, machen sie unserem Auditorium – dem Auditorium der Konferenz – sichtbar. Hörfehler inklusive. Der Moderator des Tages flüstert uns seine Version des Gehörten ein. Wir korrigieren von Mister Sexappeal auf seine Version.

Pausengespräche

Wieder kommen viele Menschen auf uns zu. Sie lachen ausgelassen und fröhlich. Sie loben unsere Kreativität, mit der wir die Beatbox-Session verschriftlicht haben. Mit der Konferenz sind sie mehr als zufrieden.

Wollt ihr mehr?

Die beiden Künstler rufen: „Wollt ihr mehr?“ Das Publikum jubelt. Es will definitiv mehr. In der Schriftdolmetschung ist zu lesen: „Wollt ihr mehr?“

Zu hören sind plötzlich das Rauschen von Wellen und das Kreischen von Möwen. Urlaubsstimmung kommt auf. Die Künstler erzeugen die passenden Geräusche mit ihren Mündern. Das Publikum lacht. Die Schriftdolmetschung wird angepasst: „Wollt ihr Meer?“ Die Stimmung ist gut.

Wir wissen, auch wir haben wertvolle Arbeit geleistet – für Menschen mit und für Menschen ohne Hörbeeinträchtigung.

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Hinweis: Dieser Bericht ist auch in der Ausgabe 1/2023 des „Sprach-R-Ohr, Die österreichische Schwerhörigenzeitschrift“ erschienen. Herausgeber: ÖSB, Österreichischer Schwerhörigenbund DACHVERBAND